Niestetal – Noch eine Woche bis zum Tischtennis-Höhepunkt der Region: Am 24. Juni treten die Topstars Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov in einem Benefizspiel in Niestetal-Sandershausen gegeneinander an. Die Erlöse kommen den vom Krieg in der Ukraine betroffenen Kindern zugute. Wir haben im Vorfeld mit Boll gesprochen, der am vergangenen Wochenende mit Borussia Düsseldorf erneut Deutscher Meister wurde.
Das letzte Interview mit Ihnen haben wir 2014 bei der DM in Wetzlar im Geräteraum geführt. Sie waren gerade Vater geworden und hatten die eine oder andere schlaflose Nacht hinter sich. Mittlerweile dürfte Ihre Tochter doch schon selbst am Tisch stehen, oder?
Ja, sie spielt tatsächlich seit kurzem Tischtennis. Aber nicht wegen mir, sondern eher wegen ihrer Klassenkameradinnen, von denen viele spielen. Das macht sie ganz für sich, und ich bin da nicht so involviert.
Fällt es Ihnen schwer, nicht so involviert zu sein?
Wenn sie das möchte, würde ich ihr auch Tipps geben. Aber sie soll das erstmal für sich machen, da ja zunächst der Spaß und nicht der Leistungssportgedanke im Vordergrund stehen soll. Ich muss mich da dann nicht einmischen, ich kann mich gut zurückhalten.
Blicken Sie vor allem auch aus der Perspektive des Vaters mit Angst auf das, was gerade in der Ukraine passiert?
Auf jeden Fall. Und wenn man in diesen Zeiten als Sportler helfen kann, dann macht man das natürlich gern. Es ist immer wichtig, Menschen zu unterstützen, die unverschuldet in eine solche Situation gekommen sind. Deshalb habe ich auch nicht lange gezögert und schnell zugesagt. Selbst wenn ich lange keinen Schaukampf mehr gespielt habe, werden die Zuschauer sicher auf ihre Kosten kommen.
Welche Botschaft geht von diesem Benefizspiel aus ?
Dimitri hat natürlich eine wesentlich engere Bindung zur Ukraine. Es ist besonders schlimm, wenn der Krieg die Kinder trifft – und Menschen, die damit eigentlich gar nichts zu tun haben. Deshalb ist es selbstverständlich, dass wir uns dafür einsetzen, die Not zumindest etwas zu lindern. Das ist für das eigene Gewissen gut, aber auch für diejenigen, die die Hilfe jetzt dringend brauchen.
Kennen Sie sich eigentlich in Nordhessen aus?
Auf jeden Fall. Vor allem erinnere ich mich noch an meine Zeit in der 2. Liga. Da habe ich öfters in Kassel gespielt.
Jetzt geht es nach Niestetal. Wie ist das eigentlich, wenn man seinen Gegner so gut kennt?
Wir trainieren natürlich häufig zusammen, deshalb wissen wir schon eine Menge voneinander. Auch wenn er jetzt eine längere Pause gemacht hat, wird es die großen Überraschungseffekte nicht mehr geben. Man kennt die Ballwege, die der andere spielt, was es aber für das Match nicht einfacher macht. Denn man bekommt dann doch den einen oder anderen Ball mehr zurück, als man erwartet.
Heißt: Sie nehmen den Schaukampf auch richtig ernst?
Klar. Aber in erster Linie sehen wir das Spiel als Trainingsmatch, bei dem für die Zuschauer auch der eine oder andere spektakuläre Ballwechsel dabei sein soll. Es könnte ein guter Mix werden aus der Athletik des Sports und eben ein paar Showeinlagen.
Hunderte Zuschauer werden in der Halle sein und Autogramme und Selfies verlangen. Warum hat man immer das Gefühl, dass Sie die Tischtennis-Fans schon lange kennen und Sie auch ihr Nachbar sein könnten?
Ich habe mich gegenüber den Fans immer recht normal verhalten und versucht, ihre Wünsche zu erfüllen. Ich war ja früher selbst ein kleiner Fan und habe bei Jan-Ove Waldner und Jörg Roßkopf angestanden. Deshalb kenne ich das Gefühl, wenn man dann endlich das Autogramm seines Idols in den Händen hält. Das habe ich nie vergessen. Und es gibt auch keinen Grund, sich anders zu verhalten, nur wenn man das eine oder andere Turnier mal gewonnen hat. Der Charakter sollte sich nicht ändern.
Sind Sie deshalb auch in China weiter so populär?
Tischtennis ist dort Volks- und Mediensport Nummer eins. Da ich mehr als 20 Jahre der härteste Konkurrent der Chinesen war, bin ich eben dort sehr bekannt. Wenn man sich fair und anständig verhält, bringt es einem auch viele Sympathien ein. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man auch im Ausland gemocht wird.
Mit 41 Jahren könnte man als Profisportler ja schon langsam ans Aufhören denken. Ist das schwer, eine solche Entscheidung zu treffen?
Ich schiebe es noch ein bisschen hinaus, weil ich eben immer noch zu gern spiele und es so viel Spaß macht. Es gab immer Phasen, in denen es auch schwer war. In denen man gedacht hat: Hoffentlich überstehe ich die Verletzung jetzt. Im Moment fühle ich mich super gut und habe ja auch nochmal drei Jahre bei Borussia Düsseldorf verlängert. Genügend Ehrgeiz, Motivation und Ziele sind da, vielleicht kann ich ja auch bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris noch einmal teilnehmen. Manches geht zwar nicht mehr so wie früher, aber man tüftelt dann eben andere Wege aus, um es trotzdem zu schaffen.
Gibt es etwas, das Ihnen in Ihrer Karriere gefehlt hat?
In manchen Phasen war es so extrem, dass mir meine Frau den Koffer noch zum Flughafen gebracht hat, um die Klamotten zu wechseln. Über viele Jahre waren das harte Zeiten fürs Familienleben. In der turnierarmen Coronazeit konnte man sich nun schon einmal daran gewöhnen, wie es später sein wird, wenn der Papa mal ein bisschen mehr zu Hause ist.
Und wenn Sie dann wirklich aufhören, coachen Sie Ihre Tochter?
Die lässt mich ja noch nicht so. Aber da bin ich ziemlich entspannt und werde sie unterstützen, wenn sie mich braucht. Auch in vielen anderen Sportarten kenne ich mich ja ganz gut aus
INTERVIEW - Timo Boll vor Benefizspiel in Niestetal
VON TORSTEN KOHLHAASE
Freitag, 17. Juni 2022, Hessische Allgemeine (Kassel-Mitte) / Sport